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Erklärvideos in der Verwaltung – Warum 90% scheitern, bevor sie starten

Die Zahlen sind ernüchternd. Neun von zehn Erklärvideoprojekten in deutschen Verwaltungen kommen über das Konzeptstadium nicht hinaus oder verschwinden wieder von der Website, kaum dass sie veröffentlicht wurden. Die Gründe dafür sind keine Geheimnisse – und doch werden sie in Besprechungsräumen und Projektsitzungen permanent übersehen. Ein Erklärvideo kostet durchschnittlich zwischen 3.000 und 12.000 Euro, bindet personelle Ressourcen und wird mit hohen Erwartungen gestartet. Warum scheitern dann so viele, bevor sie überhaupt Wirkung entfalten?

Das Missverständnis vom „einfachen Video“

Der häufigste Fehler liegt bereits in der Annahme selbst. Erklärvideos werden unterschätzt. Sie gelten als „nice to have“, als Marketingtool oder als digitale Dekoration für die Behördenwebsite. Dabei sind sie hochkomplexe Kommunikationsinstrumente, die fachliche Tiefe, didaktische Struktur und technische Präzision verlangen. Ein Video, das einen Antragsprozess erklärt, muss rechtlich korrekt, verständlich und barrierefrei sein – gleichzeitig. Diese Anforderungen kollidieren regelmäßig mit dem Budget und der Zeit, die für die Produktion eingeplant werden.

Viele Projekte beginnen mit der Frage: „Können wir das nicht intern machen?“ Die Antwort ist technisch oft ja, qualitativ fast immer nein. Die Digitale Barrierefreiheit für Webseiten ist kein Add-on, sondern eine Grundanforderung – und genau hier beginnt das Scheitern. Ein selbstproduziertes Video ohne Untertitel, ohne Audiodeskription und ohne durchdachtes Skript erfüllt weder die gesetzlichen Vorgaben noch die kommunikativen Ziele.

Rechtliche Fallstricke: BITV, BFSG und die unterschätzte Verantwortung

Seit dem 28. Juni 2025 gilt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz vollumfänglich für digitale Angebote öffentlicher Stellen. Die Anforderungen sind eindeutig: Videos müssen Untertitel enthalten, eine Audiodeskription bieten und idealerweise in Gebärdensprache verfügbar sein. Wer dagegen verstößt, riskiert nicht nur Bußgelder, sondern auch öffentliche Kritik und den Verlust von Vertrauen. Die Aktion Mensch weist darauf hin, dass zwei Drittel der großen deutschen Webshops nicht barrierefrei sind – bei Behörden liegt die Quote vermutlich noch höher.

Die technische Umsetzung überfordert viele Verwaltungen. Untertitel müssen synchron sein, nicht automatisch generiert und inhaltlich präzise. Audiodeskriptionen erfordern zusätzliche Tonspuren, die zwischen den Dialogpausen eingefügt werden. Gebärdensprachvideos müssen separat produziert und eingebunden werden. Diese Anforderungen treiben die Kosten hoch und die Bereitschaft, Erklärvideos zu produzieren, entsprechend runter.

Hinzu kommt der Datenschutz. Videos, die auf externen Plattformen wie YouTube gehostet werden, schaffen automatisch DSGVO-Probleme. Tracking, Cookies und Datenübertragung in Drittländer sind mit rechtssicheren DSGVO-Erklärungen kaum vereinbar. Selbst-Hosting ist technisch möglich, bindet aber Serverkapazitäten und IT-Ressourcen.

Die inhaltliche Falle: Zu viel, zu schnell, zu fachlich

Ein Erklärvideo, das scheitert, erkennt man an seinem Skript. Es ist zu lang. Es ist zu detailliert. Es nutzt Fachsprache, die niemand außerhalb der Verwaltung versteht. Ein Video, das den Antrag auf Elterngeld erklärt, muss nicht alle Sonderfälle abdecken – aber genau das versuchen die meisten Verwaltungen. Das Ergebnis: achtminütige Videos, die nach drei Minuten abgebrochen werden.

Die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne liegt bei unter zwei Minuten. Erklärvideos funktionieren nur, wenn sie fokussieren. Ein Prozess, eine Frage, ein Ziel. Alles andere gehört in ein zweites Video oder in ergänzende Textinformationen. Die didaktische Struktur fehlt jedoch oft, weil die Verantwortlichen keine Erfahrung in visueller Wissensvermittlung haben. Ein Erklärfilm zur digitalen Verwaltung zeigt, wie es besser geht: klare Struktur, visuelle Unterstützung, verständliche Sprache.

Technische Hürden: Produktion, Hosting und Integration

Die Produktion eines Erklärvideos beginnt nicht mit der Kamera, sondern mit dem Konzept. Viele Projekte scheitern, weil dieser Schritt übersprungen wird. Stattdessen wird direkt ein Dienstleister beauftragt, der ein generisches Video liefert, das niemanden abholt. Die technische Qualität mag stimmen, die inhaltliche Relevanz fehlt.

Selbst wenn das Video gut ist, scheitert die Umsetzung oft an der Integration. Behördenwebsites laufen auf veralteten Content-Management-Systemen, die moderne Videoformate nicht unterstützen oder nur mit erheblichem Aufwand einbinden können. Die IT-Abteilung ist überlastet, die Kommunikationsabteilung technisch überfordert, und das Video verschwindet in einem digitalen Archiv.

Hinzu kommen Anforderungen an das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, die Dr. Thomas Schwenke in seinem Ratgeber detailliert beschreibt. Wer gegen diese Vorgaben verstößt, riskiert Bußgelder bis zu 100.000 Euro – eine Summe, die jede Verwaltung vor neue Fragen stellt.

Organisatorische Blockaden: Abstimmungsschleifen und Verantwortungsdiffusion

Ein Erklärvideo durchläuft im Durchschnitt sieben Abstimmungsrunden, bevor es veröffentlicht wird. Jede Abteilung möchte ihre Perspektive einbringen. Jeder Fachbereich findet Details, die fehlen. Jede Rechtsabteilung sieht potenzielle Haftungsrisiken. Am Ende ist das Video ein Kompromiss, der niemanden zufriedenstellt und nichts erklärt.

Die Verantwortung für das Scheitern lässt sich nicht zuordnen. War es das zu kleine Budget? Die fehlende Expertise? Die technischen Limitierungen? Die rechtlichen Anforderungen? Die Antwort lautet: alles gleichzeitig. Und weil niemand wirklich verantwortlich ist, wiederholt sich der Fehler beim nächsten Projekt.

Erfolgreiche Erklärvideos entstehen dort, wo klare Verantwortlichkeiten definiert sind und eine Person die Fäden in der Hand hält. Diese Person muss fachlich kompetent sein, technisches Verständnis mitbringen und die Kommunikationsziele verstehen. In den wenigsten Verwaltungen gibt es solche Stellen.

Was erfolgreiche Erklärvideos anders machen

Die zehn Prozent, die funktionieren, haben Gemeinsamkeiten. Sie beginnen mit einer präzisen Zielgruppendefinition: Wer soll das Video sehen? Was soll diese Person danach tun? Die Antwort bestimmt Länge, Ton und Inhalt. Ein Video für sichere Online-Antragstellung richtet sich an Bürgerinnen und Bürger, die unsicher sind – nicht an Fachpersonal.

Erfolgreiche Projekte arbeiten mit externen Dienstleistern, die Erfahrung mit Behördenkommunikation haben. Sie kennen die rechtlichen Anforderungen, verstehen die Balance zwischen Fachlichkeit und Verständlichkeit und liefern Videos, die technisch einwandfrei sind. Die Kosten sind höher, aber die Erfolgsquote rechtfertigt die Investition.

Zusätzlich werden erfolgreiche Videos nicht als Einzelprojekt behandelt, sondern als Teil einer digitalen Kommunikationsstrategie. Sie sind eingebettet in eine Website, die barrierefrei ist, mit Texten, die das Video ergänzen, und mit Kontaktmöglichkeiten, die Rückfragen erlauben.

FAQ: Häufige Fragen zu Erklärvideos in der Verwaltung

Was kostet ein professionelles Erklärvideo für Behörden?
Die Kosten variieren zwischen 3.000 und 15.000 Euro, abhängig von Länge, Komplexität und den Anforderungen an Barrierefreiheit. Untertitel, Audiodeskription und Gebärdensprache treiben die Kosten nach oben, sind aber gesetzlich vorgeschrieben.

Welche rechtlichen Anforderungen muss ein Erklärvideo erfüllen?
Seit dem 28. Juni 2025 gilt das BFSG vollumfänglich. Videos müssen barrierefrei sein: Untertitel, Audiodeskription und idealerweise Gebärdensprache sind Pflicht. Zusätzlich müssen DSGVO-konforme Hosting-Lösungen verwendet werden.

Wie lang sollte ein Erklärvideo sein?
Maximal zwei Minuten. Längere Videos werden seltener bis zum Ende angesehen. Komplexe Prozesse sollten auf mehrere kurze Videos aufgeteilt werden.

Kann eine Verwaltung Erklärvideos selbst produzieren?
Technisch ja, qualitativ meist nein. Ohne Erfahrung in Drehbuch, Schnitt und Barrierefreiheit entstehen Videos, die rechtlich problematisch und kommunikativ wirkungslos sind.

Welche Plattform ist für das Hosting geeignet?
Selbst-Hosting auf Behördenservern ist die datenschutzrechtlich sicherste Lösung. YouTube und Vimeo sind DSGVO-kritisch, können aber mit entsprechenden Einwilligungslösungen verwendet werden.

Wie messe ich den Erfolg eines Erklärvideos?
Über Klickzahlen, Abspielrate, durchschnittliche Sehdauer und – am wichtigsten – über die Reduktion von Rückfragen zu dem erklärten Prozess.


Die meisten Erklärvideos scheitern nicht an mangelnder Kreativität, sondern an fehlender Vorbereitung. Wer ein Video als schnelle Lösung betrachtet, unterschätzt die Anforderungen. Wer die rechtlichen, technischen und kommunikativen Herausforderungen ernst nimmt, produziert Videos, die tatsächlich erklären – und nicht nur Speicherplatz belegen.

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